Die faszinierende Geschichte eines Phänomens
Von den Bologneser Steinen, ihrem Widerhall in Goethes "Farbenlehre" und dem Phänomen der Lumineszenz erzählt Rolf Heilmann in seinem Buch, das erklärt, "wie die Menschen lernten, das Licht zu verstehen, zu erzeugen, zu verändern und zu nutzen":
Vincenzo Casciarolo war Schuhmacher mit einem Faible für Alchemie.
Diese schien dem Mann aus Bologna einträglicher zu sein als sein
Brotberuf. Casciarolo wollte Gold machen und hoffte, es entstünde, wenn
er Steine erhitzen und mit Holzkohle und anderen Stoffen in Verbindung
bringen würde. Eines Tages machte er eine sonderbare Entdeckung, er
bemerkte, dass einer seiner Steine im Dunkeln glühte.
Je stärker der Stein dem Sonnenlicht ausgesetzt gewesen war, desto
intensiver begann er zu leuchten. "Bologneser Stein" heißt der 1602
gefundene Stein, der der Wissenschaft jahrhundertelang Rätsel aufgab, in
der Physik-Geschichte, "Sonnenei" nannte ihn einst Casciarolo.
"Da dachte er, er ist jetzt auf der Spur des Steins der Weisen. Aber er hat nur die Lumineszenz entdeckt. D.h., wir haben Energie, irgendwie ist sie in den Stein hineingekommen, und die wird wieder abgegeben, und zwar in Form von Licht. Das Interessante an diesem Stein war, dass das kaltes Licht war, also dass die Steine nicht heiß wurden. Die Lumineszenz war in den nächsten paar hundert Jahren Gegenstand der Forschung. Und heute funktioniert alles, was mit Displays zu tun hat, auf dieser Grundlage der Lumineszenz. Leuchtstoffröhren sind lumineszierende Röhren, oder die lichtemittierenden Dioden – all das ist auf der Grundlage dieses 'Bologneser Steins' entwickelt worden: Es sind Festkörper, die kalt leuchten."
Von den Bologneser Steinen, ihrem Widerhall in Goethes "Farbenlehre" und dem Phänomen der Lumineszenz erzählt Rolf Heilmann in einem höchst lesenswerten Buch, das erklärt, "wie die Menschen lernten, das Licht zu verstehen, zu erzeugen, zu verändern und zu nutzen": ein Buch über die Geschichte der Lichtforschung also, eine von spektakulären Entdeckungen ebenso wie von Missverständnissen und Irrwegen geprägte Geschichte.
"Der größte Irrglaube war, dass man immer meinte, man wüsste, was Licht ist. Man hat dann immer behauptet, jetzt wissen wir es - und nach einer bestimmten Zeit traten dann viele Effekte und Phänomene auf, die man nicht erklären konnte. Und da musste man sich ein neues Bild machen. Und wir werden viele Dinge noch finden, die wir mit unserem noch relativ naiven 'Lichtbild' nicht erklären können."
Heilmann schreibt über Licht und Lichtquellen, über Sehen und
Strahlung, über Sterne, künstliche Beleuchtung und Lichtcomputer - und
zeigt, wie das, was wir "Licht" nennen, mit Energie zusammenhängt, mit
Zeit und Information.
Ohne Licht gibt es kein Leben auf der Erde. Das Licht der Sonne lässt
Pflanzen wachsen, bestimmt Klima, Wetter, Wind, die Bewegungen der
Ozeane und Flüsse. Das Licht ist zugleich der "dominierende Zeitgeber
für die Menschheit". Es dient zur Zeit-, aber auch zur
Entfernungsmessung, legt den Lauf der Jahreszeiten fest und bestimmt
unseren Lebensrhythmus. Licht ist aber auch ein Mittel zum Abbilden und
Erfassen, zum Erkennen der Welt.
"Den größten Teil unserer Information nehmen wir über das Licht auf, durch das Sehen. Wir können natürlich hören, fühlen usw. Aber indem wir einfach Licht aufnehmen, analysieren, gewinnen wir ziemlich viele Erkenntnisse, eigentlich die meisten Erkenntnisse über den Aufbau der Welt. Rein vom physikalischen Standpunkt her gibt es mittlerweile fast nichts, was wir nicht über das Licht erfahren."
In seiner weitgehend chronologisch erzählten Geschichte des Lichts
spannt Heilmann den Bogen von Euklids "Optik" bis zur
"Quantenteleportation" des österreichischen Physikers Anton Zeilinger,
von Platons Sonnengleichnis zu Heisenbergs Matrizenmechanik.
Er erklärt Phänomene wie Brechung und Reflexion, wie ein Regenbogen
entsteht und der "Lesestein" als Vorläufer der Brille diente, wie die
Camera obscura oder wie ein Fernrohr funktioniert und informiert über
Spektroskopie, Röntgenstrahlen oder Hologramme. Die großen Fortschritte,
die "großen Sprünge" in der Erklärung des Lichts – sie sind noch
relativ jungen Datums.
"Anfang des 19. Jahrhunderts, da gibt es die Erkenntnis – bis dahin meinte man, Licht sei ein Teilchen –, dass Licht eigentlich generell eine Welle ist. Und da hat man die Interferenz, die Überlagerung gefunden. Der nächste Sprung, der groß war, das war J. C. Maxwell, der eine elektromagnetische Theorie des Lichts aufgestellt hat und der festgestellt hat, Licht breitet sich erstaunlich schnell aus, er konnte das berechnen, und es muss Wellen geben, die genauso aussehen, aber eine andere Wellenlänge haben, und das waren die Radiowellen. Also er hat diese große Theorie des Elektromagnetismus entworfen. Und damit kann man auch sehr viel machen, aber eben noch nicht die ganz moderne Technik erklären. Und der ganz große letzte Sprung war der von Einstein 1905, der gesagt hat, Licht sind kleine Energieportionen. Das war der große Sprung, von dem wir heute noch zehren, weil er die Grundlage für die moderne Photonik und Optoelektronik liefert."
Und spätestens hier wird die Sache abstrakt, wenn es um Photonen und
virtuelle Photonen geht, um die Verhältnisse in der Nanowelt, um
Halbleiterphysik und Quantenelektrodynamik. Auch wenn der gemeine
Laienverstand das nicht mehr oder bestenfalls nur noch in Ansätzen
nachzuvollziehen imstande ist, so macht Heilmann doch klar, dass die
Auswirkungen dieser Forschungen, die "angewandte" Lichtwissenschaft, von
nicht hoch genug einzuschätzender Tragweite sind.
Ob in der Medizin- oder Messtechnik, der Nachrichtenübertragung oder
Astrophysik – überall spielt das Licht die entscheidende Rolle. Mit
verstärktem Licht, mit Laserstrahlen, können Stahlplatten geschnitten,
Krebsgeschwüre abgetötet oder Sehfehler korrigiert werden. Mit
Lichtimpulsen über Glasfasernetze werden Bilder, Filme oder Texte
übertragen und gespeichert. Lichtemittierende Dioden, kurz LEDs,
variabel in Helligkeit und Farbtemperatur, werden mehr und mehr unsere
Beleuchtung bestimmen. Unsere Umgebung wird früher oder später mit
lichtempfindlichen Fenstern, Decken und Wänden ausgestattet sein, die
tagsüber gespeichertes Sonnenlicht abends in Kunstlicht verwandeln.
Licht wird in der Technik allgegenwärtig werden, ist Heilmann überzeugt,
aber auch im Alltag. Wir werden unser Licht wählen, seine Farbe,
Intensität oder räumliche Verteilung selbst bestimmen können. Licht wird
sich verändern und formen lassen.
"Man kann jetzt neuartige Strukturen entwickeln, kleine Kreise, Haken, Ösen im Nanometer-Bereich, in denen sich Elektronen auf ganz merkwürdigen Bahnen bewegen. Und wenn da Licht drauf fällt, reagieren diese Teilchen in völlig neuer, unbekannter Weise und erzeugen neues, unbekanntes Licht. Es kann beispielsweise sein, dass Licht um einen Körper herumgeleitet wird und dieser Körper uns dann als unsichtbar erscheint. Also das, was wir von Harry Potter und Co. kennen, dass man sich einen Umhang umlegt, wo das Licht drumherum gehen kann und wir gar nicht merken, dass da etwas ist. Das ist zumindest im Infrarot-Bereich schon gelungen, auch im Radio- und Mikrowellen-Bereich. Irgendwann wird das auch im normalen Lichtbereich gehen, und wir werden uns möglicherweise einen Tarnumhang umlegen können und das Licht wird um uns herumfließen - und das Gegenüber wird gar nicht merken, dass wir da sind."
Am Ende seines höchst anregenden, immer um Knappheit und Anschaulichkeit bemühten Buches schreibt Heilmann über Licht und Kosmos. Licht nämlich teilt uns Wesentliches über die Prozesse im Universum mit, wie alt es ist, wie weit Sterne und Galaxien entfernt sind und woraus sie bestehen. "Wir erfahren, wie groß das Weltall ist und wie es sich bis heute entwickelt hat", sagt Heilmann.
"Da wir noch nicht dort hinfliegen können, vom Mond abgesehen, können wir die Information über die Sterne und das Weltall insgesamt nur durch das Licht gewinnen. Also müssen wir uns die Sterne angucken, wir müssen das Licht analysieren und können dann genau sagen, wie heiß ist es auf dem Planeten, wie ist er aufgebaut, welche Stoffe gibt es da, wie bewegt er sich usw. Also Licht ist der wichtigste Kanal für uns, um den Kosmos zu erforschen - eben nicht nur die einzelnen Sterne, sondern den Kosmos als ganzen."
Rolf Heilmann ist mit seinem Buch nicht nur eine sehr informative,
sondern stellenweise auch unterhaltsame Geschichte des Lichts gelungen,
die nicht nur die großen wissenschaftlichen Entdeckungen referiert -
Entdeckungen, die nicht immer auch schon Erklärungen bedeuteten, siehe
der leuchtende "Bologneser Stein" des alchemietreibenden italienischen
Schuhmachers.
Seine Geschichte erwähnt auch die herrschenden Lehrmeinungen, Tabus und
Vorurteile der jeweiligen Zeit und den einen oder anderen, für eine neue
Theorie folgenreichen biographischen Begleitumstand. Was es uns in
Zukunft noch alles ermöglichen, welche Wunder es für uns noch
bereithalten wird und was es überhaupt ist, das Licht, kann auch er
nicht erklären. Licht, sagt Rolf Heilmann, ist eigentlich nur Licht.
Gestaltung: Wolfgang Seibel · 25.07.2013
Rolf Heilmann, "Licht", Herbig Verlag